Werkstatt für Theater
Gotthardstrasse 61
CH-6045 Meggen
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Zum Stück


STÖRFALL ist eine szenische Folge von „Nahaufnahmen“ geworden, einzelne Ablichtungen – und dazu Musik und visuelle Notizen, die das Wort weiter tragen, hinaus ins Ungesagte und vielleicht Unsagbare.

In unseren Recherchen haben wir Textfragmente, Dialoge, Zitate, Fakten und Bilder untersucht, die sich direkt und indirekt mit dem Ereignis in Tschernobyl befassen, haben uns inspirieren lassen von Dokumentationen, Aufsätzen, Essays, journalistischen Bild- und Reisereportagen, etwa von Swetlana Alexijewitsch, Alexander Kluge, Igor Kostin, Christian Kracht, Gedichten, etc.

Spielort ist ein Arbeitstisch, eine Werkstatt, eine Materialiensammlung. Die Szenen entstehen aus dieser Versuchsanordnung heraus: ein Musiker, ein Videokünstler, eine Schauspielerin und ein Schauspieler kreieren mit den dokumentarischen Fragmenten einen lebendigen Bilderreigen.




TEIL 1: ein altes Paar erzählt aus dem Alltags-Leben in der „Zone“, 20 Jahre nach dem Ereignis – eine heiter-bittere freilichtmuseumsartige Führung. ...

Olietschka und Andrej, ein altes Paar, Olietschka schält Kartoffeln.
OlietschkaAlso wir nennen es nicht „die Zone“, wir selber sagen nicht „die Zone“ ...
AndrejWas ist die Zone, die Zone ist, wo man gemessen hat, wo der gefährlichste Ort ist ...
Olietschka... der Strahlung ...
AndrejEine 30-km-Zone, die man mit Stacheldraht eingezäunt hat. In dieser Zone leben wir, verstehen Sie, ...
Olietschka...an einem verstrahlten Ort.
AndrejUnd schauen Sie, dort, hinter den 30 km, was ist dort? Hält der Stacheldraht vielleicht die Strahlung auf? Lacht So. Wo hört das auf?
......




TEIL 2a: Einblicke in die Welt der Spezialisten, Wissenschaftler, Techniker und einfachen Helfer – sie alle müssen mit dem Unfassbaren umgehen.

40 Sekunden
AWir schicken Roboter auf das Dach um die radioaktiven Graphitblöcke zu räumen.
BRadioaktivität zerstört die elektrischen Schaltkreise von automatischen und ferngesteuerten Maschinen.
AWas bleibt?
BMenschen.
ADie maximale Ganzkörperdosis für einen Mann ist auf 25 Röntgen festgelegt. Dort oben sind es 10'000.
BSie dürfen nur 40 Sekunden auf dem Dach bleiben.
AGerade lange genug um ein zwei Schaufeln vom radioaktiven Schrott in das teuflische Loch zu werfen?
BWir rekrutieren 500'000 Mann und lassen sie in 40-Sekunden-Schichten das Dach liquidieren.
...

Vom Standpunkt der Haut
ASpürt man etwas?
BWenn man weiss, was es ist, kann man etwas spüren.
AAuf der Haut? Im Gesicht?
BWärme, wie bei starker Sonnenstrahlung. Trockenheit im Hals. Menschen sind aufgedreht.
ASchwindelgefühl?
BNach gewisser Zeit extreme Müdigkeit, wie wenn einer sich im Schneesturm niederlegen will. Kopfschmerz. Es kommt zu einem Spasma der äusseren Kapillaren der Haut. Es entsteht der Eindruck, die haut sei gepudert. Andere Hautpartien zeigen eine tiefe Bräune, zum Violetten hin schimmernd, wie ein intensiver Sonnenbrand. Später zerstört sich die Haut, wie in Panik geraten, selbst von innen nach aussen.
...



TEIL 2b: Video und Musik im Dialog – eine Improvisation von Filmsequenzen im Spiel mit Stimme und Klang.



TEIL 3: Blick in das Schicksal einer jungen Frau, die ihren Mann verloren hat – eine einsame Stimme.
... Ich war früher so glücklich. Warum? Ich habe es vergessen ... Das war alles in einem anderen Leben ... Ich begreife nicht ... Ich weiss nicht, wie ich weiterleben konnte. Weiterleben wollte. Ich lache, ich rede. Ich hatte solche Sehnsucht ... Ich war wie gelähmt ... Ich hätte gerne mit jemandem gesprochen, aber nicht mit einem Menschen. Ich gehe in eine Kirche, da ist es ganz still, so wie manchmal in den Bergen. Ganz, ganz still. Dort kann man sein Leben vergessen. Und morgens wache ich auf ... Suche mit der Hand ... Wo ist er? Sein Kissen, sein Geruch ... Ein kleiner fremder Vogel mit einem Glöckchen um den Hals trippelt über das Fensterbrett und weckt mich, nie vorher habe ich solche Laute, solch eine Stimme gehört. Wo ist er? Ich kann nicht alles herüberbringen, nicht alles lässt sich in Worte fassen. Ich weiss nicht, wie ich weiterleben konnte. Abends kommt meine kleine Tochter. „Mama, ich bin mit den Hausaufgaben fertig.“ Da erst wird mir bewusst, dass ich Kinder habe. Aber wo ist er? „Mama, hier ist ein Knopf abgerissen, nähst du mir den an?“ Wie kann ich ihm folgen? Ihn wiedersehen? Ich schliesse die Augen und denke an ihn, bis ich eingeschlafen bin. Im Traum kommt er, aber nur ganz vage, ganz flüchtig und verschwindet wieder. Ich höre sogar seine Schritte ... Wohin geht er? Wo ist er? Und er wollte so ungern sterben. Er schaute ständig zum Fenster hinaus ... Zum Himmel ... Ich legte ihm ein Kissen unter, ein zweites, noch eins ... Damit er hoch liegt. Sein Sterben hat lange gedauert ... Ein ganzes Jahr ... Wir konnten uns einfach nicht trennen ... ...




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