Werkstatt für Theater
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Konzeptnotizen und Materialien von Gisela Widmer

Wir spielen auf dem Kasernenareal der Schweizer Armee, vor einer gewaltigen Felswand. Auf der anderen Strassenseite sieht man die Baustelle von Sami Sawiris. Von Sami Sawiris handelt unser Theaterabend allerdings nicht. Sondern von einer ganz anderen Baustelle. Ohne jene Baustelle vor 800 Jahren gäbe es keine Freilichtspiel. Der Autor des Standardwerks „25 mal die Schweiz“, Fritz René Allemann, schreibt zu dieser anderen Baustelle, also zur Teufelsbrücke: „Mit dem stiebenden Steg vollzog sich eine verkehrsgeographische, ökonomische und politische Revolution, die einen bis dahin weltverlorenen, an den Rand der Geschichte verwiesenen Bergwinkel fast mit einem Schlag in den Mittelpunkt gewaltiger und weitreichender Zusammenhänge stellte.“

Die Sage von der Teufelsbrücke dürfte hinlänglich bekannt sein. Carl Spitteler bezeichnete die Sage als „klapperdürres Legendelein ohne jeden poetischen Wert“. Nun, bekanntlich können sich auch Nobelpreisträger irren. Wir haben viele Auslassungen in der Sage entdeckt: Zum Beispiel die Frage, ob wirklich alle von der Dorfgemeinschaft für den Brückenbau waren? Ob es einen Kampf zwischen Fortschrittlichen und Bewahrern gab? Oder: Wer aus der Dorfgemeinschaft wäre geopfert worden, wenn nicht einer auf die Idee gekommen wäre, „einen gottlos zänkischen Ziegenbock“ über die Brücke zu jagen?

Es kommen auch andere Elemente aus dem reichen Urner Sagenschatz vor, viele Sagengestalten. Das Stück kann als Traum gelesen werden, den Beni, ein junger Mann träumt: Der Teufel wartet ja noch immer, seit 800 Jahren, auf seine Seele. So gerät der junge Mann nach einer Begegnung mit dem Teufel in eine Zeitspirale und landet in einer Zeit, in der es noch keine Brücke in der Schöllenen gab. Im wesentlichen ist der Kern des Stücks ein sehr aktueller: Fortschritt ja, aber ist er möglich ohne Seelenverlust, ohne Verbrechen, ohne kriminellen Akt?

Es geht in diesem Freilichtspiel aber auch um den Mythos Gotthard und um die Frage, ob der Ursprung und die Raison d’être der freiheitlichen Schweiz hier, in der Schöllenen liegen. Sicher haben viele ein emotionales Verhältnis zum Gotthard und zu dieser Nord-Süd-Verbindung. Ein emotionales Verhältnis, für das wie eine Metapher der Teufelsstein an der Nordrampe des Autobahntunnels steht. Viele können sich bestimmt erinnern; dass dieser Stein hätte in die Luft gesprengt werden sollen, weil er im Weg stand. Es gab Proteste, Unterschriftensammlungen und anderen Widerstand. Und so wurde der Teufelsstein im Jahr 1973 nicht gesprengt, sondern sanft auf Schienen um 127 Meter nach Norden verschoben. Kostenpunkt damals: 335‘000 Franken. Und die Volksseele beruhigte sich wieder. Es ist bemerkenswert für das Selbstverständnis der Schweiz, dass nicht irgendein Heldendenkmal aus Bronze, sondern ein grobschlächtiger Stein, der an die Teufelssage erinnert, an der Nordrampe steht.

Unsere Vorstellung von der Teufelsbrücke ist aber nicht nur geprägt vom Teufelsstein und von der Teufelssage, sondern auch von der Erzählung „Der Schmied von Göschenen“ von Robert Schedler (gest. 1930). In der Sage und in der Erzählung sind es die Urner, die sich den Weg nach Süden erschliessen wollten. In Wahrheit gelang aber – mit grösster Wahrscheinlichkeit – den Urschnern der Durchbruch. Sie, also Walser, waren im 12. Jahrhundert vom Wallis her ins fast menschenleere Urserntal eingewandert. Nach Westen ins Wallis über die Furka und nach Osten nach Disentis über den Oberalp waren die Handelswege einigermassen begehbar. Im Süden aber versperrte die Piottina-Schlucht und Richtung Norden versperrte die Schöllenen-Schlucht den direkten Weg. Wollten die Urschner nach Uri, mussten sie - solange es keinen Durchgang in der Schöllenen gab - einen mühsamen und zwei bis drei Tage raubenden Umweg über die nahen Berge machen.

Die grosse Herausforderung war auch nicht die Überquerung der Reuss in der Schöllenen; wie man Brücken baut, wussten schon die Römer. Viel unüberwindbarer war der Chilchbergfelsen unmittelbar vor Andermatt. Dieser Felsen steht senkrecht entlang der Reuss. Doch die Walser wussten sich zu helfen: Sie hatten im Wallis an den steilen Felsen Suonen (Bewässerungskanäle) gebaut. Mit dieser Technik bauten sie – vermutlich zwischen 1218 und 1225 – die sogenannte „Twärrenbrücke“ entlang des Chilchbergfelsens auf einer Länge von 60 Metern. Hervorstehende Mäuerchen und Nischen, die sie in den Felsen schlugen, dienten als Auflager für die Tragbalken. Erst viele Jahrhunderte später, nämlich im Jahr 1708, wurde das „Urnerloch“in den Felsen gesprengt. Der Tessiner Baumeister Pietro Morettini sprengte diesen allerersten Tunnel in den Alpen.

Nicht nur die Twärrenbrücke, sondern auch die Teufelsbrücke – auch „Stiebender Steg“ genannt – war aus Holz: ein etwa 1.50 Meter breiter Steg ohne Geländer. Ende des 16. Jahrhunderts wurde die erste Steinbrücke über die Reuss gebaut. 300 Jahre später, im Jahr 1888, stürzte sie bei einem Unwetter ein. Von dieser ersten Steinbrücke sind heute noch die Widerlager zu sehen. Aber schon Anfang des 19. Jahrhunderts hatte man eine neue Teufelsbrücke gebaut. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts folgte die heutige Brücke.

Es musste grauenhaft gewesen sein, über diese Brücken zu gehen. U.a. auch darum, weil die Reuss in der Schöllenen früher viel wilder war. Seit den 1950er Jahren führt die Reuss wegen der Stauseen und Kraftwerke nur noch wenig Wasser. Aber eben, früher war das anders. Es gibt in der Literatur unzählige Passagen von diesem Übergang. U.a. heisst es in einem Reisetagebuch aus dem Jahr 1804: „Das wüthende Donnern der stürzenden Reuss erschüttert diesen höllischen Ort, und heftiger Sturmwind, von dem Fallen des Stromes erzeugt, braust auf der Brücke über den Wanderer hin.“ Übrigens ging man auch im Winter über die Brücke, weil der Gotthardpass bis ins 19. Jahrhundert hinein das ganze Jahr über offen war. Im Winter schleppten kurzbeinige Ochsen die Lasten über den Pass, gleichzeitig dienten die Ochsen im hohen Schnee als Wegbahner für die Pferdekonvois. Durchschnittlich an nur acht Tagen war der Gotthardpass wegen allzu grosser Lawinengefahr dann doch gesperrt.

Wieviele Lasten über den Gotthard geschleppt wurden, und welche Bedeutung der Gotthard hatte; darüber streiten sich die Historiker. Sicher war der Gotthard für den Nord-Süd-Transit nicht von Anfang an von grosser Bedeutung; für den regionalen Verkehr vermutlich aber schon. Wir meinen, dass der Pass ein wichtiger Handelsweg war. Denn der Unterhalt des Weges war sehr aufwendig und kostspielig (z.B. musste ständig das Holz auf den Brücken ersetzt werden, hinzu kamen Zerstörungen durch Naturgewalten). Und wäre nicht ein bestimmtes Transportvolumen über den Gotthard gebracht worden, hätte man den Pass im Winter geschlossen.

Es gibt Historiker, die verorten den Ursprung der Schweiz bei der Überbrückung der Reuss in der Schöllenen. So etwa schreibt Rudolf Laur-Belart (gest. 1972) in seinem Büchlein „Studien zur Eröffnungsgeschichte des Gotthards“: „Nicht der sagenhafte Wilhelm Tell“ sei der Begründer gewesen, sondern „jener Mann, der die stäubende Brücke ersann und ausführte.“ Es ging um Expansion, Rechtssicherheit, um sichere Wege und eigene Zolleinnahmen, kurz: um Selbstbestimmung. Der Urner Historiker und Journalist Helmut Stalder, der das Buch „Mythos Gotthard“ geschrieben hat, meint dazu: Scheinbar zwangsläufig ergebe sich eine direkte Linie von der Teufelssage über Wilhelm Tell und Rütlischwur zum Bundesstaat von 1848 und zum Réduit im Zweiten Weltkrieg bis zur Schweiz der Gegenwart. Doch der Gotthard ist nicht nur patriotischer Sehnsuchtsort dieser Réduit-Schweiz, sondern auch Sehnsuchtsort auf der linken und grünen Seite des politischen Spektrums; in der Alpeninitiative beispielsweise formuliert sich die Sehnsucht nach einer landschaftlich intakten Alpennation.

Um all das und um vieles mehr geht es im Freilichtspiel „Tyyfelsbrigg“. Und: Vielleicht gehen Sie nach dem Theater anders d’Schöllene dürab, als dass Sie d’Schöllene düruuf cho sind.


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