Werkstatt für Theater
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Aus der Regiewerkstatt
Von Livio Andreina


Schon immer wollte ich ROMEO&JULIA inszenieren. Es ist eine ungestüme, erotische und leidenschaftliche Geschichte und Shakespeare ist ein fantastischer Erzähler. Es ist grossartig, wie er die Themen des Menschen – Gewalt, Liebe, Mord, Lust, Leidenschaft, Gift, Verrat, Tod – virtuos zu einem Meisterwerk des Theaters arrangiert. Alles ist da, eine wunderbare Partitur, die von der Liebe und der Sehnsucht nach einer Welt ohne Gewalt, Lebensneid und Missgunst berichtet. Mich interessiert, Shakespeares Zeilen zum Leben zu erwecken: eine farbige, musikalisch poetische Bilderwelt zu erfinden und die unsterbliche Liebesgeschichte von Romeo und Julia in einer Sprache unserer Zeit zu erzählen.

Gedanken zur Inszenierung in Randbemerkungen aus meinem Regiebuch:
Es gibt keine bösen Figuren im Stück. Alle Figuren sind lediglich gefangen in ihren persönlichen Strukturen und im Schmelztiegel einer durch Egoismus, Respektlosigkeit, Menschenverachtung und Machtgier geprägten Welt. Auf diesem Boden werden die feurigen Leidenschaften der jungen Menschen gewalttätig. Es sind Gewaltakte, die zur Tragödie der Liebe führen. Die Leidenschaften in ROMEO&JULIA führen zu Dichtung und Umarmung und gleichzeitig zum Schwert. In einer Welt voller Gewalt haben gewaltige Leidenschaften unbedingt ein gewaltsames Ende. In der Stadt, in der das Stück spielt, gibt es keinen andern Boden. Restriktive Mittel bringen nichts. Nur das Liebes-Opfer erlöst. Das heisse Blut führt zur Liebesnacht aber auch zum Tod. Es ist dasselbe Blut, ein tragisches Paradox.
Die Liebe von Romeo und Julia ist ein Blitz und zerreisst die Welt der Konventionen.
Penis und Schwert sind für die Männer dasselbe.
Die Waffen: Degen und Dolche und ein Stück Bühnenbild.
Mir ist wichtig, alle pseudoromantischen Vorstellungen, die der Zuschauer mitbringt, wie eine Staubschicht wegzuwischen, ROMEO&JULIA erzählt von den Leidenschaften und Abgründen des Menschen. Das will ich zeigen.
Die Familienfehde ist eine Wirtschaftsmafia-Story. Macht und Geld sind die Grundzüge, die das Leben bestimmen.
Rache wird mit Recht gleichgesetzt.
ROMEO&JULIA führt uns durch alle gesellschaftlichen Schichten: Zwei reiche Familien streiten sich, eine völkische Amme zieht Julia auf, heissblütige Banden liefern sich Strassenschlachten, Bruder Lorenzo, ein religiöser Freigeist, sucht den Frieden, der Fürst vertritt das restriktive Gesetz, Musikanten spielen zum Maskenfest auf und zwischen allen Ebenen die alle Grenzen sprengende Liebe zweier Teenagers, 14- und 18jährig.
Es ist mir ein Anliegen, die Komödie auf die grosse Tragödie aufprallen zu lassen. In ROMEO&JULIA ist es die Komödie, die es möglich macht, die ganz grossen Gefühle der Tragödie zu spielen und zu inszenieren.
Es fasziniert mich, wie Shakespeare Comedy, Thriller, Action, Lovestory, Romanze und Krimi zu einer innigen Liebesgeschichte verwoben hat.
Sprache ist Denken. Wir sehen, wie die Figuren denken. In der Sprache drückt sich aus, wie der Mensch ist. Shakespeares Figuren sprechen alle viel grösser, würdiger, charakterloser, etc. als sie tatsächlich sind, der Autor legt ihnen Worte in den Mund, die sie nie aussprechen würden, er philosophiert mit den Figuren und denkt mit ihnen nach über Gott und die Welt, Liebe und Tod.

Shakespeares Stück ist grossartig. Doch das Leben muss von aussen kommen, durch die Spieler und Spielerinnen, durch die übersetzerin, die Bühnen- und Kostümbildnerin, die Regie, den Musikern und allen Mitwirkenden, sie müssen die Vorlage zu ihrer Sache machen, dann erst entsteht Theater und – so hoffe ich – ein berührender Abend für die Zuschauer.


Aus der Übersetzerwerkstatt
Von Gisela Widmer

Laut Auskunft des Schweizer Theaterverlages Elgg hat bis jetzt noch niemand eine klassische Übersetzung von „Romeo und Julia“ ins Schweizerdeutsche gewagt. Mittlerweile weiss ich, warum …
Das Original steckt voller „puns“. Diese englische Besonderheit von Kalauern lebt zum einen vom Doppelsinn vieler englischer Wörter und zum anderen vom phonetischen Gleichklang unterschiedlich geschriebener Ausdrücke (z.B. „eye“ (Auge), „I“ (ich), „aye“ (ja).
Solche Wortspiele sind kaum zu übersetzen - und doch von grosser Wichtigkeit für das Textverständnis. Denn sie machen aus der Tragödie über lange Passagen eine Komödie. Besonders Romeo gibt seinem ersten Liebesleiden in lächerlichen Versen und Wortspielen Ausdruck; er gefällt sich in der Rolle des von Rosalina verschmähten Liebhabers, greift zu angelernten Sonett-Phrasen. Ich lege ihm darum gereimte Liebesgedichte in den Mund, die wir vom Musenalp-Express her kennen … Erst bei Julia verliert Romeo seine sprachlichen Allüren, erst bei ihr findet er zu seiner eigenen, authentischen und leidenschaftlichen Sprache. Denn Julia will keine Floskeln, sie will sein „Ich“. Anhand von Romeos Sprachentwicklung vom pubertierenden Liebessäusler hin zum jungen Mann, der die Liebe in Worte fasst, die der Liebe gebühren, liesse sich vielleicht das ganze Grundmotiv des Stücks erklären.
Mit anderen Worten: Die „puns“ des Originals einfach ignorieren, ging nicht. Vielmehr galt es, in einer oft mühseligen Feinarbeit, der Vorlage gerecht zu werden, indem ich sie in eine eigene Sprache goss. Auch die anderen Figuren wollte ich sprachlich originalgetreu widergeben. So etwa spricht Lorenzo in Sentenzen, also Sinnsprüchen, die Amme plappert und Mercutio ist vulgär.
Apropos vulgär: Ein zweites Problem waren die oft unerhörten Zoten und Obszönitäten. Auch diese gründen bei Shakespeare meist auf „puns“, kämen aber in der Übersetzung sehr vulgär daher. Z.B. ist die Frucht der Mispel (engl: „medlar“) ein Synonym für das weibliche Genital, phonetisch gleichlautend mit „meddler“, was wiederum mit „Vögler/Fummler“ zu übersetzen wäre. Oder: „Poperin pear“ ist der Name einer Birnensorte aus der flämischen Stadt Poperinghe, wegen ihrer Form aber auch ein Synonym für ein erigiertes männliches Glied. „Poperinghe“ wiederum ist phonetisch in der Nähe von „pop her in“, also „rammeln/reinstecken“ etc. Kurz: Meine Arbeit war oft auch eine Gratwanderung zwischen Shakespeares streckenweise vulgärem Original und unserem guten Geschmack. Wobei ich auch die Obszönitäten – genauso wie die „puns“ - nicht einfach ignorieren konnte; sie kontrastieren mit den späteren sensiblen und lyrischen Dialogen der beiden Neuverliebten, die sich so zaghaft an das noch nie erlebte Gefühl der Liebe herantasten.
Einfacher war es, den sprachlichen Rhythmus zu finden: Wie schon bei den früheren Freilichtspielen besteht die Übersetzung – genauso wie das Original - aus Blankversen. Mit dieser Kunst- statt Alltagssprache versuche ich, dem Schweizerdeutschen die „heimelige“ Vertrautheit zu nehmen. Anders als im Original lasse ich aber einzelne Figuren an bestimmten Stellen in einer rhythmisierten Prosa sprechen: Zum Beispiel die plappernde Amme oder die jungen Männer, wenn sie sich besonders rüpelhaft benehmen und sich an keine – auch keine sprachlichen Regeln – mehr halten.
Schliesslich noch: Das Original habe ich stark gekürzt. In einem Freilichtspiel soll sich der Text zurücknehmen, um den vielen anderen Elementen einer Inszenierung genügend Raum zu lassen. Falls Sie also einen Ihrer Lieblingssätze vermissen, so bitte ich um Entschuldigung. Die Lerche aber, und die Nachtigall; sie kommen in ihrer ganzen Dringlichkeit vor …


Zur Ausstattung
von Anna Maria Glaudemans Andreina

Die Liebestragödie von Romeo und Julia spielt sich vor dem Hintergrund einer schönen Stadt ab. Die vielen Protagonisten dieser Geschichte leben und wirken miteinander auf diesem Flecken Erde, alle in der gleichen Welt. Und doch zieht sich ein tiefer Graben, ein Abgrund mitten durch diese Gemeinschaft.
Bei uns trennt ein Fluss die beiden verfeindeten Familien voneinander. Er muss immer wieder überwunden werden, sei es gewalttätig, heimlich oder liebevoll. Es werden verschiedene Brücken gebaut, um die beiden Welten zu verbinden: So versucht Pater Lorenzo von der Mitte des Flusses aus, eine Brücke zu bilden. Auch der Fürst, der hoch über der gespaltenen Welt steht, trachtet von seiner hohen Brücke aus vergeblich, mit Gesetz und Verordnungen die beiden Welten zu versöhnen.
Der berühmte Balkon und auch das Liebesbett von Romeo und Julia bilden eine Brücke, eine Brücke der Liebe zwischen den Fronten. Am Ende schaffen es die beiden durch ihre treue Liebe bis in den Tod tatsächlich, eine Brücke zu bauen und überwinden so die menschlichen Abgründe und verbinden die beiden Welten. Das Grab steht in der Mitte des Flusses, die beiden Liebenden sind schon in einer anderen Welt. Zeitlos ist diese Geschichte, romantisch und wild, so sollen auch die Kostüme sein, zu Hause in verschiedenen Welten und Jahrhunderten und für diese heutige Zeit, ein Fest für das Auge, für uns, die jetzt hier leben und die unsterbliche Geschichte von Romeo und Julia sehen und hören wollen.


Musik zu Romeo und Julia
von Christoph Baumann

Immer wieder die Frage: Was darf man als Komponist für Theater, was man als «seriöser» Komponist nicht darf? Wie einfach dürfen die verwendeten Elemente sein? Wie durchschaubar soll die musikalische Konstruktion bleiben? Und eben, wie kriegt man die Bilder, die Inhalte so aufgeladen, dass sie sich einprägen, ohne dass die Musik das Bühnengeschehen konkurrenziert? Diese Fragen führen bei jedem weiteren Versuch meist zu neuen, manchmal mich selber überraschenden Resultaten, und das Wühlen im eigenen musikalischen Fundus bleibt abenteuerlich, ist manchmal aber auch schön anstrengend. Ein längerer, dem Komponieren vorangehender Arbeitsprozess mit Livio Andreina führte zu einer stark vereinfachten Musikstruktur. Schlussendlich galt es, sechs prägnante Klangwelten zu finden. Diese Klangwelten sollten sich einerseits voneinander unterscheiden, andererseits verschiedene Kombinationen ermöglichen.
Romeo und Julia: Natürlich das Hauptmotiv, ist in der lydischen Tonart gehalten. Sie drückt für mich am genausten die hier erwünschte Mischung von Hoffnung, Glück, Sehnsucht, aber auch Trauer aus. Langeweile/Kampf: Ein eher düsteres Klangbild. An Stimmungen in David Lynch-Filmen errinnernd, soll die Musik etwas von der dauernden Spannung zwischen den verfeindeten Parteien und der allgegenwärtigen Gewaltbereitschaft ausdrücken. Darin eingebettet das düster bedrohliche Motiv für Tybalt. Die Gewaltausbrüche werden martialisch, manchmal auch ironisch kommentiert untermalt. Lorenzo: Die Welt der Kirche ist einerseits als etwas mysteriöses aber weltoffenes Labor gezeichnet, in welchem sich die (Seel-) Sorgen Lorenzos und sein leider scheiternder Plan manifestieren. Andererseits gehört natürlich auch der Klang der Orgel dazu. Sie erscheint mal gospelartig, mal bedrohlich. Krimi: Die dramatische Entwicklung von Lorenzos Plan wird mit einer eher klassischen, sich steigernden Krimimusik unterlegt. Trauer: Der Trauer um all die sich anhäufenden Toten wird mit einem schön schwerfälligen Marsch
entsprochen, welcher aber am Schluss eine Wende ins Optimistische ermöglicht. Capulet Fest: Eine eigentliche Bühnenmusik. Hier geht es darum, dem Wahnsinn der neureichen Capulets (so die Behauptung) und ihrem eher schlechten Geschmack zu genügen. Spezielle Herausforderung für mich war die Umsetzung der dramaturgischen Ansprüche auf die gegebene, eher ungewöhnliche Besetzung von Harfe, Klavier, Bass und Electronics. Die Musik ist in Modulen, welche sich relativ beliebig kombinieren lassen, organisiert. Diese Technik erlaubt es den vier Musikerinnen der Musikhochschule Luzern, improvisatorische Freiräume zu nutzen und gleichzeitig präzise mit dem Theatergeschehen zu kommunizieren. Sollte Ihnen am Ende des Stückes die Hauptmelodie immer noch im Kopf herumschwirren, wäre dies ein Kompliment an die Ausführenden und würde den Komponisten natürlich freuen...



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