Werkstatt für Theater
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Gedanken Zum Projekt


„Meine erste Fahrt in die Zone ... Unterwegs dachte ich, dort würde alles mit grauer Asche bestäubt sein. Mit schwarzem Ruß. Dort aber war es schön. Wunderschön! Blühende Wiesen, die Wälder in zarten jungen Grün. Diese Zeit mag ich besonders. Wenn alles zum Leben erwacht, wächst und singt. Das hat mich am meisten verblüfft – diese Verbindung von Schönheit und Angst. Die Angst war nicht mehr von der Schönheit zu trennen und die Schönheit nicht von der Angst. Alles war ins Gegenteil verkehrt. Ein unbekanntes Gefühl von Tod.“ (S. Alexeijwitsch, Tschernobyl – eine Chronik der Zukunft)

Am 26. April 1986 um 1 Uhr 23 kommt es im Block 4 des ukrainischen Kernkraftwerks Tschernobyl zum Super-GAU (grösster anzunehmender Unfall). Die radioaktiven Folgen werden erst in 40000 Jahren getilgt sein. Die ausgebrannte Ruine wurde mit einem Betonmantel umhüllt, dem Sarkophag. Er ist löchrig. Das tödlich verstrahlte Gebiet um den Reaktor, die „Zone“, ist mit Stacheldraht abgezäunt.

25 Jahre sind vergangen.

Am 11. März 2011 explodierte Block 1 in Fukushima.

Bis zu diesem Ereignis war Tschernobyl schon Geschichte, eine Metapher und ein Symbol geworden. Tschernobyl, als Katastrophe mit unauslöschbaren tödlichen Spuren drohte in den Raum des Vergessens zu geraten, es lag hinter uns, protokolliert, gefilmt, beschrieben, eingeordnet. Tschernobyl bekam etwas von einer Theaterkulisse, von einem Bühnenbild aus einer anderen Welt. Es gab sogar „all-inclusive-Zonentouren“ für Abenteuertouristen und der Reaktor verwandelte sich in ein Touristikum, ein ukrainisches Löwendenkmal, in dem nur noch die Souvenirkiosks fehlten und russische Ballenberg-Führungen „so-leben-heute-die-Eingeborenen“ angeboten wurden.

Fukushima hat wach gerüttelt, in erschreckender Deutlichkeit gezeigt, dass sich nichts geändert hat, uns vor Augen geführt, dass Tschernobyl mehr ist als eine Katastrophe, dass es da ein Geheimnis gibt, das wir lösen müssen. Die alten Erfahrungen reichen nicht aus, zu verstehen, was Tschernobyl ist. Tschernobyl hat die Menschen überrumpelt, so wie jetzt Fukushima. Es gibt keine Vorstellungen, Systeme, Rettungsmassnahmen, Analogien um mit einem solchen Ereignis umzugehen, nicht einmal einen Sprachschatz, darüber zu reden ...

Die nichtigen und primitiven Lowtech-Ansätze für die Rettung der auswegslosen Situation in der Reaktorruine in Fukushima bringen die andere Seite der Hochtechnologien auf den Punkt. Eine eindimensionale Berichterstattung, eine spektakuläre Bilderwelt, Erklärungen und vorgefertigte Reaktionsbildungen drohen dasjenige zu überdecken, was die direkt betroffenen Menschen er-LEBEN. Es ist erstaunlich, wie viel getan wird, dass wir nicht darüber nachdenken, dass das Ganze falsch ist.

Unser Projekt Störfall ist ein Erinnerungsversuch an die Verantwortung.

Uns interessieren die Empfindungen von Menschen, die an das Unbekannte gerührt haben, was sie dabei entdeckt haben, erfahren in sich selbst, in der Beziehung zur Welt. Die Rekonstruktion von Gefühlen war uns wichtig, den menschlichen Stimmen nachzulauschen, die dem Ereignis direkt ausgesetzt waren und die Fragen nach dem Sinn, den menschlichen Abgründen, der Angst und der Liebe und nach der Zukunft.

„’Wächter des Sarkophags’ nannten sich die Mitglieder der sogenannten ‚Komplex-Edition’, die die Kraftwerksruine erforschten, den Betonmantel kontrollierten und immer erneut in die Untergeschosse des zerstörten ‚Komplexes’ eindrangen, auf der Suche nach dem Verbleib nuklearer Materie. Sie wachten als Wissenschaftler und Ingenieure einige Jahre über die äußere Sicherheit des Katastrophenorts. Nach 1991 hatten sie keine Vorgesetzten mehr, verloren allmählich Auftrag und Versorgung. ...
In diesem Sinne ist Tschernobyl heute ohne Wächter, der Sarkophag ist in gewissem Sinne herrenlos und damit zu einem Objekt der Menschheit geworden. Das einzige, was man von ihm konkret sagen kann, ist, dass diese Ruinen-Überbauung zu unserem Planeten gehört, wie es ähnlich auch für die Pyramiden gilt. Ähnlich wie diese wird der Sarkophag, obwohl bröckelnd und selber im Zustand der Zerstörung, auf viele tausend Jahre dort stehen. Die Wächter des Sarkophag sind insofern wir selbst, wenn wir an unsere Kinder denken und wenn wir das Objekt, das in Tschernobyl steht, nicht in Vergessenheit geraten lassen.“ (A. Kluge, Die Wächter des Sarkophags)


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