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Zum StückDer Schauplatz ist ein Ausflugsrestaurant in den Bergen. Dort arbeiten vier Menschen, im Service, wie man es nennt, und solange sie im Dienst sind, Gäste begrüssen, Essen auftragen, einkassieren, Gläser polieren, solange sie also beschäftigt sind, solange geht es ihnen gut.Aber jeden Tag, punkt vierzehn Uhr, da schlägt die Zimmerstunde, die unbezahlte Zeit bis halb sechs Uhr abends. Was will man machen zwischen zwei und fünf? Es reicht für nichts Gescheites. Zuerst einmal flucht man leise. Flucht über die Berge, über die Seilbahn, die Gäste, aber vor allem flucht man über die Zeit, die verstreicht. Man trinkt ein Einerli, zum Einstandspreis. Man schaut hinaus und sieht nichts als Berge. Man sammelt Kirschen, nicht draussen in der Hostet, drinnen in der Beiz, wo an der Wand der Glücksspielautomat den Nachmittag zum existentiellen Abenteuer macht. Unsere Menschen rettet nur eines, und das ist fünf Uhr abends. Dann beginnt die Arbeit wieder, man deckt die Tische, man hat zu tun, die Zeit verstreicht wieder unbemerkt, bis zum nächsten Nachmittag um halb zwei Uhr, wenn die neue Zimmerstunde ihr Recht einfordert, und alles, wie ein ewig wiederholtes Lied, von vorne beginnt und man fragt sich, ob vielleicht nicht das Leben selbst eine grosse, lange Zimmerstunde sei, Langweile, eingeklemmt zwischen der Selbstvergessenheit. Zum ProjektDie Idee, dieses Projekt zu realisieren, entwickelte sich aus dem Anliegen heraus, Zugang zu den Elementen der schweizerischen Tradition zu finden. Es gibt in der Schweiz viele alte Lieder und Tänze, Geschichten und Sagen, denen wir in unseren Recherchen begegnet sind. Sie sind irgendwie Teil vom Mythos Schweiz. Diesen Mythos zu erkunden, hat uns interessiert und wir haben uns in dieses verschlungene Dickicht hineingewagt.Unterwegs haben wir entdeckt, dass uns vieles unverständlich ist: Wir verstehen nicht, was mit unserer oralen Tradition passiert ist; wir verstehen nicht, wie unsere Sagenwelt wahlweise von den geistigen Landesverteidigern oder den Nonkonformisten in Beschlag genommen werden konnten. Aber wir wissen, dass wir dieser Dialektik nicht entrinnen werden. Sollten wir deshalb nicht besser einen Bogen um diesen Stoff machen? Die Schweiz hat ihren Mythos in den Bereich der Geschichte und diesen in den Bereich des Mythos verlegt, und wir verstehen nicht, warum wir uns entweder mit der Ideologisierung unserer Vergangenheit abfinden oder aber geschichtslos leben sollten. Es kann nicht darum gehen, nach dem Ursprung zu suchen, oder nach dem Urtümlichen, nach dem Urchigen. Unser Ursprung, unsere Tradition wurde von Männern erfunden, und diese Männer hegten bestimmte Absichten. Wir haben keine Absichten, bloss die Lust, in diesem Sumpf herumzustochern, und zu sehen, was echt ist am Falschen und wo das Echte falsch. Es geht uns nicht darum, Bestehendes zu sammeln, neu zu ordnen oder ähnliches; wir haben keine Schatzkiste gefunden irgendwo in einer Bibliothek, auf einem Berg oder in der Erinnerung eines alten Bauern, in der sich so etwas wie echtes Volksgut befindet, aber wir haben wunderbare Berglandschaften gefunden und mittendrin auch ein Panoramarestaurant, eine Seilbahn, Spielautomaten, einen Naturjutz, einen Einerli Roten, stilles Vorsichhinfluchen, das Lied vom Einstandspreis, die Ballade vom übergang, der stets so schwierig ist, a big fat car, die Langeweile, poliertes Besteck, eine Mondlichtkäseschnitte, einen Stundebiigeler, ein fröhliches Salatbouquet. Entstanden ist Zimmerstund. (Livio Andreina und Lukas Bärfuss) Zur MusikDas Kennzeichen von Opernmusik ist für mich nicht die Arie, sondern das Ensemble, die Einzigartigkeit, dass gleichzeitig mehrere Personen möglicherweise verschiedene Geschichten musikalisch erzählen. Die Musik zu "Zimmerstund" ist also weitgehend Ensemble-Musik mit vielen tradierten Formen von Mehrstimmigkeit wie Kanon und Quodlibet. Dabei war mein Ehrgeiz, Formen des Zusammenspiels zu ermöglichen, welche ohne Dirigent möglich sind. Das ist für die Mitwirkenden eine grosse, aber - ich denke - auch schöne Herausforderung. Die Hauptaufgabe der Musik ist es, die Lakonik, Poesie und den Witz des Librettos von Lukas Bärfuss musikalisch umzusetzen, dem geschriebenen Wort zu musikalischer und szenischer Präsenz zu verhelfen. Eine einleuchtende Deklamation war mir besonders wichtig. Dabei greift nicht nur die Instrumentation auf schweizerische Volksmusik zurück. Jedes Stück beruft sich hörbar auf Volksmusikformen. Es sind dies im bunten Wechsel: Kuhreihen, Betruf, Walzer, Ländler, Mazurka, Polka, Schottisch, Jodel-, Volks- und Kinderlied. Gewollte Ausrutscher sind eine quasi-jazzige Showeinlage und das Opernfinale. Die Harmonik geht von den Hörgewohnheiten im Umkreis der Volksmusik auf. Das Farbenspektrum wird im Zusammenhang mit der Vielstimmigkeit erweitert. (Daniel Fueter)> Zum Projekt > Aufführungen > Mitwirkende > Bilder: Mitwirkende > Kontakte > Wettbewerb „echos“ (pdf) > Bilder: Endproben > Plakat (pdf) |